Heute ist ein großer Tag im Leben des amerikanischen Präsidenten. Er wird umjubelt als Friedensstifter, als der Mann, der einen Krieg beendet, an dessen Eindämmung zahllose Vorgänger gescheitert waren. Seine Schwäche erweist sich diesmal als Stärke: Die Ignoranz gegenüber der Geschichte voller Leid und Kriege in Nahost, der Glaube an seine Omnipotenz und der USA als Ordnungsmacht in dieser Region, deren Boden von Blut getränkt ist und deren Menschen von Hass auf einander beseelt sind.
In Sharm el Sheikh auf der Halbinsel Sinai wird das das Abkommen über den Frieden in Gaza feierlich unterzeichnet. Viele Staats- und Regierungschef werden diesen historischen Tag durch ihre Anwesenheit zieren, darunter auch der deutsche Bundeskanzler. Über allen aber thront Donald Trump, der an der Ukraine das Interesse verloren hat, aber an dieser Region nicht.
Frieden ist ein großes Wort. Frieden und Nahost sind eigentlich ein Widerspruch in sich. Ist dort überhaupt ein Frieden möglich, ohne dass der nächste Krieg schon vorbereitet wird?
Frieden scheint wirklich möglich zu sein. Erstens schreien die tiefenscharfen Veränderungen durch die Serie an Kriegen, die seit dem 7. Oktober 2023 in der Region tobten, nach einer politischen Neuordnung. Zweitens ist die Geduld der arabischen Staaten mit der Hamas und die Geduld Amerikas mit Israel an einem Ende angelangt, so dass sie die Daumenschrauben anlegen und das Unmögliche ermöglichten.
Ab jetzt wird der 20-Punkte-Plan abgearbeitet, den Donald Trump als sein Werk betrachtet.. Die israelischen Geiseln kommen frei. 20 von ihnen leben noch, eine Minderheit. Die anderen 28, die Mehrheit, kehren als Leichname in die Heimat zurück. Sie starben an den Bedingungen, denen sie ausgesetzt waren, so viel ist klar. Aber wie und warum sie den Tod fanden, werden ihre Familien erfahren wollen. In die große Freude mischt sich, wie immer nach Kriegen, große Trauer.
20-Punkte sind eigentlich zu viele für einen seriösen Plan. Deshalb überbieten sich manche Kommentatoren in Skepsis, ob auch wirklich gelingen kann, was gelingen soll. Das ist verständlich angesichts der Erfahrung mit Plänen in dieser Region, in der guter Wille schon so oft an der Wirklichkeit scheiterte. Aber Erfahrung kann auch blind machen für grundstürzenden Wandel. Denn denkbar ist auch, dass in der Punkt-für-Punkt-Abwicklung eine Dynamik entsteht, welche die Dinge planmäßig beschleunigt.
Die erste Phase endet heute mit dem Austausch der Geiseln gegen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Die zweite Phase wird gerade vorbereitet. 200 US-Militärs sind eingeflogen worden, um für die allerersten Voraussetzungen für die Verwandlung der Trümmerwüste Gaza in „einen funktionalen Ort“, wie der Arbeitstitel lautet, zu sorgen. Die USA und Regionalmächte wie Ägypten, die Türkei, Katar und vermutlich auch die Golf-Emirate sind dafür ausersehen, die „International Stability Force“ zu bilden – eine international Truppe, die die für Stabilität und Frieden in Gaza zuständig sein soll.
Dann folgt, wenn es gut geht, eine technokratische Regierung unter der Supervision eines Gremiums, dem Trump persönlich vorsteht. Und natürlich muss die Hamas ihre Waffen abgeben; wer von ihren Kämpfern und Anführern ins Exil geht, fällt unter eine Amnestie. Dieser Punkt, der die Hamas zu bedingungsloser Kapitulation zwingt, ist besonders heikel.
Benjamin Netanjahu wird auch heute nicht müde werden zu behaupten, dass ihm eine tragende Rolle in Trumps Friedenswerk gebührt. Er beginnt heute schon mit dem Wahlkampf, denn spätestens in exakt einem Jahr steht die nächste Parlamentswahl an. Es zeichnet sich ab, dass es dann um Gaza gehen wird – die Verantwortung für den 7. Oktober, die Kriegsführung seither, die Rolle Netanjahus bei der weltweiten Isolation Israels.
Zweifellos wird dieser Premierminister in zweifacher Gestalt in die Geschichtsbücher eingehen. Als Mann, der die Hamas im Gaza und die Hisbollah im Libanon entscheidend dezimierte; als Mann, der Iran demütigte – als Bezwinger der Feinde Israels.
Daneben ist er aber auch der Mann, der Krieg auf Krieg führte und zu Frieden nicht imstande war, weil dann seine Koalition gescheitert wäre und ihm bei einer Wahlniederlage juristische Konsequenzen wegen Korruption drohen. Zum Frieden ließ sich Netanjahu im Weißen Haus zwingen.
Was schwerer wiegt, der militärische Triumphator oder der Egoman, werden die israelischen Wähler bestimmen. Was Netanyahu juristisch vorgeworfen wird, werden die Richter entscheiden.
Überhaupt beginnt ab jetzt die Phase der Selbsterforschung, wie der Krieg Israel verändert hat. Dazu gehört die Frage, wieso so viele Länder Palästina als Staat anerkennen und wie die Zwei-Staaten-Lösung aussehen könnte, auf der das Ausland beharrt. Außerdem hat sich Präsident Trump darauf festgelegt, dass Israel die Westbank nicht annektieren darf. Was bedeutet das? Wie reagieren die Siedler, angeführt von Politikern, die ihre Verachtung für Palästinenser offen aussprechen?
Der Nahe Osten wird durch die überraschend konsequente Einmischung des amerikanischen Präsidenten neu geordnet. Die Aussichten fürs Gelingen sind erstaunlich gut, weil hinter dem guten Willen die geballte Macht Amerikas und der arabischen Welt steht.
Vielleicht bräuchte auch Israel einen 20-Punkte-Plan, der klärt, welches Land es sein will und sein sollte. Die Ära des Dauer-Premiers Netanyahu dürfte bald zu Ende gehen. Wer folgt auf ihn? Und wie verhält sich seine (oder ihre) Regierung gegenüber den Palästinensern im eigenen Land und im Westjordanland?
Die Hoffnung, die heute in Sharm el Sheik beschworen wird, vertreibt vielleicht ja wirklich die Verzweiflung und die Ratlosigkeit, die in dieser Region vorherrschen. Und wenn es ganz gut geht, und man soll die Hoffnung auch dort nicht verlieren, besinnt sich Idas zerrissene Israel auf eine Versöhnung mit sich selber.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.